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16.05.2025, Lokalredaktion
Fotos der Hunde mit den vielen Stacheln wollen wir nicht veröffentlichen.
Die Nacht vom 1. auf den 2. Mai werden Nolte-Ernsting und seine Frau so schnell nicht vergessen. Die beiden betreiben in der Gemeinde Jade ein Rehabilitationszentrum, in dem Hunde mit Behinderung therapiert werden. Im Haus war am späten Abend Ruhe eingekehrt und die acht Hunde hatten sich schon alle zum Schlafen hingelegt. Da es eine warme Nacht war, stand die Terrassentür zu dem großen, eingezäunten Grundstück offen. Es war kurz nach Mitternacht, als plötzlich auf der Terrasse aufgeregtes Gebell erklang. Marco Nolte-Ernsting setzte sich seine Stirnlampe auf und folgte den Hunden in den Garten. Weiter entfernt sah er etwas vorbeihuschen und dachte im ersten Moment an eine Katze. Dann kamen ihm schon die ersten Hunde heulend entgegen und liefen zurück zum Haus. „Daraufhin erblickte ich in einer Eiche ein Tier, das ist jedoch nicht erkennen konnten“, erinnert sich Marco Nolte-Ernsting. Er hat dann erst einmal die Hunde vom Baum weggezogen. „Hier ist ein Stachelschwein“, rief er seiner Frau zu. Doch sie wiegelte ab und meinte, dass Stachelschweine in Nordamerika und nicht hier leben würden. Sie brachte eine Taschenlampe mit nach draußen und gemeinsam suchten sich den Baum ab, doch das Tier war nicht mehr zu sehen.
Als sie wieder zurück zum Haus kamen, sahen sie, dass sieben ihrer acht Hunde voller Stacheln waren. Manche von den Stacheln waren hohl und bis zu acht Zentimetern lang, andere wiederum dünn wie Nadeln. Die dünnen konnten sie leichter herausziehen, doch die dickeren Stacheln, mit kleinen Wiederhaken versehen, nicht. Es war mitten in der Nacht, also was tun? Sie riefen bei der befreundeten Tierärztin an, erklärten die Lage und vor allem, dass die Tiere nicht transportfähig waren. Also machte sich die Tierärztin auf den Weg nach Jade. Inzwischen versuchten die Hunde selbst, sich der Stacheln zu entledigen, was aber nicht gelang. Gegen 1 Uhr traf die Tierärztin im Hause ein. Zum Entfernen der Stacheln hatte sie eine Reihe an Utensilen mitgebracht. Ein Hund nach dem anderen wurde auf eine Behandlungsliege gebracht, narkotisiert und in mühevoller Kleiarbeit dann Stachel für Stachel entfernt. Bis zum frühen Morgen wurde gemeinsam gearbeitet, bis alle Hunde ihre Stacheln wieder los waren. Erst später bemerkten sie auch den achten Hund, der sich unter ein Regal verkrochen hatte und ebenfalls mit Stacheln im Kopf verletzt war. Dieser Hund konnte am nächsten Tag ebenfalls versorgt werden.

Während sich die Hunde ausruhten, machten sich Marco Nolte-Ernsting und seine Frau erst einmal auf dem Grundstück auf die Suche nach dem Tier. Drei Hunde kamen später nach und schauten bellend einen Ahornbaum hinauf. Dort entdeckten sie dann den Baumstachler und riefen bei dem Jader Tier- und Freizeitpark an der Nordsee an und fragten dort nach, ob ihnen ein Baumstachler fehlen würde. Dies wurde bestätigt und der zoologische Leiter Frank Ahrens kam mit einem Mitarbeiter, um das Tier einzufangen. Allerdings war die Leiter für den Baum etwas zu kurz. Nachdem dann zwei weitere Kollegen mit einer entsprechend langen Leiter vor Ort waren, konnte der Baumstachler eingefangen und wieder in den Jaderpark gebracht werden. Dort wurde das Männchen eingehend untersucht und zunächst einmal von den vier Weibchen in seinem Gehege getrennt untergebracht, um ihn ein paar Tage zu beobachten.

Der Baumstachler konnte durch Unachtsamkeit eines Mitarbeiters bereits im September vergangenen Jahres aus dem Gehege entwischen. Er hielt sich wohl zunächst im Umfeld des Jaderparks auf und gelangte später in den Bollenhager Moorwald, wo er den Winter über verbrachte.
„Die Tiere leben üblicherweise in Nordamerika und können mit den Temperaturen gut umgehen“, sagt Frank Ahrens, der das Geschehen überaus bedauert. Der Baumstachler ist ein scheues Wesen, das sich nur von Pflanzen ernährt und wenn möglich, die Nähe von Menschen und anderen Tieren meidet. Als er von den Hunden entdeckt und gestellt wurde, musste der kleine Baumstachler sich einfach verteidigen. Und das hat er mit dem einzigen gemacht, was es hat: seinen Stacheln. Diese befinden sich ausschließlich an seinem Rückenende und Schwanz. Die Behaarung des Baumstachlers, der in etwa 50 bis 60 cm groß ist und rund acht Kilogramm wiegt, ist sonst relativ weich.
Die Hunde, voller Adrenalin, wollten den Eindringling in ihrem Grundstück stellen und vertreiben und der Baumstachler kam nicht mehr so schnell auf den Baum und wehrte sich. Glücklicherweise ist allen Tieren nichts Schlimmeres passiert.
„Aus Schaden wird man klug“, sagt Frank Ahrens und sagt zu, dass die Bevölkerung künftig sofort informiert wird, wenn ein Tier versehentlich aus dem Jaderpark entwischt. „Selbstverständlich ist uns das sehr unangenehm.“ Dass der Jaderpark die Kosten, die dem Ehepaar Nolte-Ernsting entstandenen sind, steht außer Frage. Auch, dass sich Frank Ahrens immer wieder nach den Hunden und deren Befinden erkundigt. „Ich bin selbst Hundehalter und kann mir vorstellen, wie es allen geht“, sagt er.
Auch heute sind die Hunde immer noch auf den Baum fixiert, auf dem der Baumstachler gesessen hat. Zwei der Hunde trauen sich noch nicht wieder unbeschwert nach draußen. „Es wird noch ein wenig dauern, bis sich alle wieder endgültig beruhigt haben“, sagt Marco Nolte-Ernsting. Aber bei dem Ehepaar sind sie in den besten Händen. (Fotos und Text: Kerstin Seeland)